Die Tonscherbe, die Wilhelm Schapp auf einem Hof liegen sah, erwies sich bei näherer Betrachtung als eine Speckschwarte – diese kleine Geschichte regt zu einer Reihe von Fragen über menschliche Wahrnehmung an. Was sind Dinge in der Wahrnehmung, was macht ihren Charakter aus, wie kommt es zum Charakterwechsel in der Wahrnehmung (von der Tonscherbe zur Speckschwarte)? Welche Rolle spielen Nähe und Entfernung? Wie kommt es, daß wir den Dingen eine Reihe von Eigenschaften „ansehen“, die wir nach unseren üblichen Auffassungen gar nicht „sehen“? Warum bevorzugen die Philosophen in ihren Betrachtungen über Wahrnehmung feste Körper? Oder mit den Worten des Husserl-Schülers Schapp noch grundsätzlicher gefragt: Welchen Rechtsgrund haben wir dafür, dass gerade Tageslicht und Entfernung von einem Fuß uns die Welt darstellt, wie sie ist?
Von diesen Fragen abgesehen, die in der Phänomenologie intensiver behandelt worden sind, beginnen wir mit ganz unabhängig von konkreten philosophischen Texten mit einer allgemeinen Besinnung: Was nehmen wir eigentlich wahr? Und wie nehmen wir wahr?
Im Mittelpunkt des Seminars stehen die Texte von Wilhelm Schapp, Maurice Merleau-Ponty und Hermann Schmitz. Darüber hinaus werden wir an Textausschnitten wichtige Beiträge Husserls und Heideggers zum Thema herausarbeiten.
Texte:
Wilhelm Schapp, Beiträge zur Phänomenologie der Wahrnehmung (1910), Frankfurt a.M. 1981
Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, übers. v. R. Boehm, Berlin 1966
Hermann Schmitz, Die Wahrnehmung (System der Philosophie III/5), Bonn 1978 |