Kommentar |
Augustin Güntzer (1596–ca.1657) war ein Elsässer Kannegießer, dessen hartes Leben vollkommen in Vergessenheit geraten wäre, wenn er nicht einen autobiographischen Text hinterlassen hätte, der mittlerweile vorbildlich ediert wurde und der einen ungewöhnlich intensiven Einblick in das (Über)Leben eines Handwerkers in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erlaubt. Güntzer ist nicht nur Zeit- und Leidensgenosse des Krieges, der ihn fast um seine Existenz brachte, gewesen, sondern zudem noch ein ausgesprochen reflektierender und religiöser Mensch. Er war derart darauf fixiert, religiösen Handlungsanforderungen zu genügen, dass er bei seinen Mitmenschen immer wieder aneckte – ein „religiöser Übererfüller“, dessen Konflikte mit seinem sozialen Umfeld und mit Andersgläubigen einen tiefen Einblick in die Welt religiöser Normen in der Frühen Neuzeit erlauben. Wir werden in der Übung Güntzers Vita nachvollziehen und dabei Themen wie Mobilität und Reisen (bevor der Krieg den Oberrhein erreichte, ist Güntzer erstaunlich weit herumgekommen, und auch in der Fremde aufgrund seines Eigensinns immer wieder in heikle Situationen geraten), den Kriegsalltag, Gewalt- und Verfolgungserfahrungen, konfessionelle Konflikte, Frömmigkeit und ihre Grenzen, soziale Verhaltenserwartungen in der kleinstädtischen „Anwesenheitsgesellschaft“ sowie die Bedeutung familiärer und nachbarschaftlicher Solidarsysteme in einer stets von Mangel bedrohten Gesellschaft behandeln. |
Literatur |
Quelle: Augustin Güntzer: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert. Ed. und komm. v. Fabian Brändle und Dominik Sieber. Unter Mitarbeit v. Roland E. Hofer und Monika Landert-Scheuber (Selbstzeugnisse der Neuzeit; Bd. 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002.
Literatur: Gerd Schwerhoff: Transzendenz ohne Gemeinsinn? Ein religiöser „Übererfüller“ im 17. Jahrhundert, in: André Brodocz et al. (Hg.): Die Verfassung des Politischen. Festschrift für Hans Vorländer. Wiesbaden 2014, S. 45-62; Hillard von Thiessen: Das Zeitalter der Ambiguität. Vom Umgang mit Werten und Normen in der Frühen Neuzeit. Köln / Wien / Weimar 2021. |