Kommentar |
Die Einigung Europas war seit Jahrhunderten der Wunsch und das Ziel von Europäern aus unterschiedli-chen Gesellschaftsgruppen. Lange Zeit schien die Idee einer Europäischen Föderation, eines Bundes-staates Utopie zu sein. Mit Pierre Dubois im 14. Jahrhundert taucht in seiner Recuperatione terre sancte erstmals mit dem Ende der „Christianitas“ die Idee einer Föderation auf mit den Grundelementen Rat – Versammlung – Gericht – Zentraleinrichtung auf. Europapläne werden im 15., 16., 17., 18. und 19. Jhd. mit unterschiedlichen Motiven und Zielsetzungen entwickelt, u.a: Crucé, St. Pierre, Rousseau, Kant, Mazzini, Hugo. Im 19. Jhd. verbinden sich Friedensidee und Europaidee verbunden mit Weltfriedens-kongressen. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, vor allem auch nach den Erfahrungen des Ers-ten Weltkrieges und seinen europäischen Auswirkungen wurden Pläne für ein vereintes Europa vorge-legt, die zielführend zu sein schienen, doch durch die Krise des internationalen Systems, der Demokratie und der Wirtschaft zu Beginn der 1930er Jahre führten zu einer Renationalisierung von Politik. Im Zwei-ten Weltkrieg wurden Europapläne zur Überwindung des Nationalstaates erneut aufgegriffen. Seit 1945 verfolgten Europaideen zunächst allein Protagonisten der Europäischen Einigung in Ost und West, da die Kriegsalliierten auf der Jalta-Konferenz eine Wiederherstellung von Wirtschaft und Politik auf nati-onalstaatlicher Ebene durch die Rückkehr der Exilregierungen befördert hatten. Mit dem Auseinander-leben der Kriegsalliierten und der Veränderung der amerikanischen Europapolitik seit 1947 (Europa must unite or perish) begann zunächst mit der Marshallplan und dem Haager Europakongress von 1948 der Prozess der westeuropäischen Integration. Mit der OEEC und dem Europarat wurden 1948/49 die ersten europäischen wirtschaftlichen und politischen Institutionen gegründet, als Basis für den weiteren Integrationsprozess. Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG), der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde der Pro-zess der Westintegration eingeleitet, der mit den Römischen Verträgen von 1957, der Gründung der European Free Trade Association (EFTA) fortgesetzt wurde und zu einer zunehmenden Verdichtung beigetragen und seit den 1970er und 1980er Jahren zu einer Erweiterung des Europas der Sechs führte. Die Eurosklerose der 1980er Jahre wurde durch die Einheitliche Europäische Akte und die Schaffung des Binnenmarktes „Europa 93“ und den Vertrag von Maastricht überwunden. Die Erweiterungen der 1990er Jahre und die von 2004/7 sowie die Einführung des Euro überwanden auf der Ebene des Europa-rates und der EU die Teilung Europa. Ein Sonderproblem war die Vereinigung Deutschlands 1990. Die deutsche Frage stellte sich erneut auf verschiedenen Ebenen – ein europäisches Deutschland oder ein deutsches Europa. Welche Rolle sollte Deutschland als das wirtschaftlich stärkste Mitgliedsland über-nehmen? Die Krisen der beiden ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts und die deutsche Europapolitik haben zu unterschiedlichen Bewertungen geführt. Wie kann die EU eine neue „Eurosklerose“ verhin-dern? Welche Reformen sind in der EU notwendig um in einer veränderten globalen Welt eine gewich-tige Rolle zu spielen? Wie lässt sich die Europäische Idee, die Europäische Konstruktion verwirklichen? Welche Rolle spielt die deutsche Frage?
Einschreibezeitraum für Studierende ab dem 2. Semester:
03.08.2020, 12:00 Uhr bis 29.08.2020, 16:00 Uhr
Loszeitpunkt:
29.08.2020, 16:10 Uhr |
Literatur |
Wilfried Böttcher (Hg.), Klassiker des Europäi-schen Denkens. Baden-Baden 2014 – Wilfried Böttcher (Hg.), Europas vergessene Visionäre. Baden-Baden 2019 – Michael Gehler, Europa. Reinbek 32018 – Wolf D. Gruner, Europäische Geschichte und Kultur: Kontinuitäten und Brüche, Grundprobleme, Modelle und Perspektiven (Bundeszentrale f. Pol. Bildung (Hg.), Lernen für Europa. Bonn 1994, 13-38 – Wolf D. Gruner, Europa-Lexikon. München 22007 – Wolf D. Gruner, German Perceptions of Europe before and after 1989 (= Studia Europaea LXIII/2018, 5-61) – Council of Europe / European Union (Hg.), Congress of Europe. The Hague May 1948 / Congrès de l’Europe. La Haye Mai 1948. Strasbourg 1999 (Reprint 1948) – Peter Krüger, Das unberechenbare Europa – Peter Krüger, Wege und Widersprüche der europäischen Integration im 20. Jahrhundert. München 1995 – Walter Lipgens (Hg.), 45 Jahre Ringen um die europäische Verfassung. Dokumente 1939-1984. Bonn 1986 – Wilfried Loth, Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte. Frankfurt a. M. 2014 – Klaus Malettke (Hg.), Imaginer l’Europe. Brüssel 1998 – Vanessa Conze, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientie-rung (1920-1970). München 2005 – Verena Schöberl, ‚Es gibt ein grosses und herrliches Land. Das sich selbst nicht kennt – es heißt Europa… Die Diskussion um die Paneuropaidee in Deutschland, Frankreich und Großbritannien (1922-1933), Berlin 2008. |