Kommentar |
Das Jahr 2020 stand im Zeichen der COVID-19-Pandemie. Allgegenwärtig waren in den Diskussionen um den Umgang mit der globalen Herausforderung Verweise auf die Geschichte. Selten bedrängte die Gegenwart die Vergangenheit derart intensiv, Lösungen für hochaktuelle Probleme preiszugeben. Plötzlich war die ‚Spanische Grippe‘ in aller Munde, wurde sogar die Pest als Erklärungsfolie bemüht. All das kann als Paradebeispiel dafür gelten, inwieweit sich aus der Geschichte lernen lässt, wo die Chancen und wo die Grenzen historischen Lernens liegen. Welche Verfahren gibt es, sie für die Gegenwart nutzbar zu machen, und auf welchen epistemologischen Grundlagen bauen sie auf? Bietet die Vergangenheit medizinische oder gesellschaftliche Antworten oder lässt sich das nicht voneinander trennen? Funktionieren naturwissenschaftliche Retrospektiven – Grundlage für das „Flatten the Curve“ boten etwa quantifizierende Studien über die Antwort unterschiedlicher US-amerikanischer Großstädte auf die Influenza-Pandemie vor einhundert Jahren – anders als historische Forschung über die Zeit? Helfen sozialpsychologische Blicke in die Vergangenheit weiter? Zu welcher heutigen Herausforderungen hat auch die Geschichtswissenschaft etwas zu sagen (Umgang mit Krankheiten, medizinisch-hygienischer Fortschritt, Wissenschaftszweifel, Verschwörungstheorien, Legitimität von Grundrechtseinschränkungen, Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in einer globalisierten und polarisierten Medienlandschaft)? Und schließlich: Bieten der formale (Schule, Universität), der non-formale und der informelle Bildungssektor Foren, etwas in Bezug auf den Umgang mit der Pandemie (beziehungsweise mit Pandemien) Sinnvolles zu lernen? Im Seminar soll ein Raum entstehen, über diese Fragen nachzudenken und dabei die Grenzen der Disziplinen zu überschreiten. |