Kommentar |
Die Einigung Europas war seit Jahrhunderten der Wunsch und das Ziel von Europäern aus unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Lange Zeit schien die Idee einer Europäischen Föderation, eines Bundes-staates Utopie zu sein. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts, vor allem auch nach den Erfahrun-gen des Ersten Weltkrieges und seinen europäischen Auswirkungen wurden Pläne für ein vereintes Europa vorgelegt, die zielführend zu sein schienen, doch durch die Krise des internationalen Systems, der Demokratie und der Wirtschaft kam es zu Beginn der 1930er Jahre zu einer Renationalisierung von Politik. Im Zweiten Weltkrieg wurden Europapläne zur Überwindung des Nationalstaates erneut aufgegriffen. Seit 1945 verfolgten Europaideen zunächst allein Protagonisten der Europäischen Einigung in Ost und West, da die Kriegsalliierten auf der Jalta-Konferenz eine Wiederherstellung von Wirtschaft und Politik auf nationalstaatlicher Ebene durch die Rückkehr der Exilregierungen befördert hatten. Mit dem Auseinanderleben der Kriegsalliierten und der Veränderung der amerikanischen Europapolitik seit 1947 (Europa must unite or perish) begann zunächst mit der Marshallplan und dem Haager Europakongress von 1948 der Prozess der westeuropäischen Integration. Mit der OEEC und dem Europarat wurden 1948/49 die ersten europäischen wirtschaftlichen und politischen Institutionen gegründet, als Basis für den weiteren Integrationsprozess. Die Bundesrepublik wurde seit Anfang der 1950er Jahre in diesen Prozess einbezogen. Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäi-schen Politischen Gemeinschaft (EPG), der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde der Prozess der Westintegration eingeleitet, der mit den Römischen Verträgen von 1957, der Gründung der European Free Trade Association (EFTA) fortgesetzt wurde und zu einer zunehmenden Verdichtung beigetragen und seit den 1970er und 1980er Jahren zu einer Erweiterung des Europas der Sechs führte. Die DDR als Teil des RGW stand der westeuropäischen Integration offiziell ablehnend gegenübber. Die Eurosklerose der 1980er Jahre wurde durch die Einheitliche Europäische Akte und die Schaffung des Binnenmarktes „Europa 93“ und den Vertrag von Maastricht überwunden. Die Erweiterungen der 1990er Jahre und die von 2004/7 sowie die Einführung des Euro überwanden auf der Ebene des Euro-parates und der EU die Teilung Europa. Ein Sonderproblem war die Vereinigung Deutschlands 1990. Die deutsche Frage stellte sich erneut auf verschiedenen Ebenen – ein europäisches Deutschland oder ein deutsches Europa. Welche Rolle sollte Deutschland als das wirtschaftlich stärkste Mitgliedsland übernehmen? Die Krisen der beiden ersten Dekaden des 21. Jahrhunderts und die deutsche Europapolitik haben zu unterschiedlichen Bewertungen geführt. Wie kann die EU eine neue „Eurosklerose“ verhindern? Welche Reformen sind in der EU notwendig um in einer veränderten globalen Welt eine gewichtige Rolle zu spielen? Welches Europa wollen / wollten die Deutschen? Thomas Mann forderte 1953 die deutsche Jugend auf sich für ein europäisches Deutschland einzusetzen und einem deutschen Europa abzuschwören. Zahlreiche Politiker haben seit dem Zweiten Weltkrieg und auch schon vielfach im Exil zu Europa und Deutschland Stellung genommen. Außer in Dokumentationen und Nachlässen finden sich viele Hinweise in Reden und Memoiren. Europa und Deutschland waren immer mit der deutschen Frage / dem deutschen Problem verküpft. 1990 schien die deutsche Frage gelöst, doch seit Beginn des neuen Jahrtausends ist die neue deutsche Frage auf die Agenda geraten. Soll Deutschland in der EU eine Führungsrolle übernehmen, oder soll es sich mit der Rolle eines wichtigen Mitspielers und nicht des Kapitäns begnügen?
Einschreibezeitraum für Studierende ab dem 2. Semester: 18.02.2021, 12:00 Uhr bis 19.03.2021, 16:00 Uhr
Loszeitpunkt: 19.03.2021, 16:10 Uhr |
Literatur |
Michael Gehler, Europa. Reinbek 32018 – Wolf D. Gruner, Europa-Lexikon. München 22007 – Council of Europe / European Union (Hg.), Congress of Europe. The Hague May 1948 / Congrès de l’Europe. La Haye Mai 1948. Strasbourg 1999 (Reprint 1948) – Peter Krüger, Das unberechenbare Europa – Peter Krüger, Wege und Widersprüche der europä-ischen Integration im 20. Jahrhundert. München 1995 – Walter Lipgens (Hg.), 45 Jahre Ringen um die europäische Verfassung. Dokumente 1939-1984. Bonn 1986 – Wilfried Loth, Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte. Frankfurt a. M. 2014 – Anthony Sampson, Anatomy of Europe, New York 1968 – Jürgen Habermas, Zur Verfassung Europas. Frankfurt a.M. 2011 – Werner Weidenfeld / Wolf-gang Wessels (Hg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 1980 ff. Bonn 1981ff. – Erinnerungen von Carlo Schmid, Walter Hallstein, Ralf Dahrendorf, Hans v.d. Groeben, Franz Joseph Strauß, Richard Weizsäcker, Lothar Späth, Erwin Teufel, Joschka Fischer, Roman Herzog und anderen geben wichtige Einblicke. |