Nach dem großen Zuspruch zu dem Seminar zum Übersetzen spanischer Prosa, das ich im Wintersemester 2021/2022 mit Herrn Luis Ruby angeboten habe, konnte auch für dieses Semester wieder eine externe Expertin für Literaturübersetzung gewonnen werden. Charlotte Roos wird – anknüpfend an meine Vorlesung und Seminar im Sommersemester 2021 – den Schwerpunkt auf die Übersetzung von Theatertexten legen. Über den Kurs schreibt sie:
Seit einigen Jahren übersetze ich neben meiner Arbeit als Theaterautorin und Regisseurin auch Theatertexte aus dem Spanischen. Bei der Übersetzungsarbeit ist mir klar geworden, dass für mich die Theaterregie auch eine Art der Übersetzung gewesen ist. Dass ich als Regisseurin Texte zunächst sehr genau gelesen, und dann in einen anderen Raum übertragen habe. In einen Theaterraum, wo verschiedene Theatersprachen gesprochen werden und verschiedene Medien zum Einsatz kommen.
Begonnen habe ich mit dem Übersetzen spanischer Theatertexte durch eine intensive Auseinandersetzung mit den Theaterstücken Federico García Lorcas. Im Rahmen einer Auftragsarbeit des Münchner Volkstheaters und der Regisseurin Pinar Karabulut hatte ich die Stücke Bodas de Sangre – Yerma – La casa de Barbarda Alba – Doña Rosita la Soltera o el lenguaje de las flores zu einem einzigen Theaterabend zusammenzubringen. Dabei stellte ich fest, dass der Umgang mit den bisher vorliegenden Übersetzungen (Wittkopf, Lange, Enzensberger, Brovot) das Unterfangen nicht nur komplizierter machte, sondern dass ich mit einer eigenen Neuübersetzung bereits mitten in der Bearbeitung García Lorcas moderner Klassiker steckte.
Im Seminar werden wir ebenfalls von Federico García Lorcas Theatertexten ausgehen, uns einen Überblick über die Spannbreite seines dramatischen Schreibens verschaffen. Die Analyse der vorliegenden Übersetzungen soll einführen in die Kategorien und Kriterien des Theaterübersetzens, bevor wie uns im zweiten Schritt mit den Texten jüngerer Autor:innen beschäftigen, zu denen teils noch keine im deutschsprachigen Raum gespielten Übersetzungen vorliegen.
Mit Tumorlorca von Paco Gaméz springen wir ins spanische Gegenwartstheater und sehen, wie sehr das Theater in Spanien von der Auseinandersetzung mit Lorca geprägt ist. Mit seinem Zweipersonenstück über einen jungen Autor, dem ein sprechender Lorcatumor an seinem Körper wächst, hat der Dramatiker Gámez das diesjährige Torneo de Dramaturgía am Teatro Español gewonnen. In einer e-mail hat er dazu trocken bemerkt: „A todos nos ha brotado algún Lorca.“
Die junge Dramatikerin Rocío Bello stellt ihrem Stück Mi pélicula italiana ein Zitat aus La casa de Bernarda Alba voran. In Hinblick auf ihren Umgang mit García Lorca und mit Blick auf meine eigene Lorca Bearbeitung In den Straßen keine Blumen, wird die Frage zu bearbeiten sein, welche Themen, Diskurse, Schreibweisen und formalen Erneuerungen das Bühnenwerk Lorcas nicht nur für das spanische Gegenwartstheater so interessant machen.
Im Seminar möchte ich Begriffe und Konzepte wie Übersetzung, Neuübersetzung, Überschreibung, Bearbeitung, Aktualisierung, Inszenierung, Interpretation, Adaption u.a. vorstellen und diskutieren. Wir werden spanischsprachige Theatertexte lesen, analysieren und natürlich übersetzen.
Wir werden bei Übersetzungsübungen immer wieder auf theaterspezifische Fragestellungen stoßen: - Mit welcher Theaterform, welchem Genre haben wir es zu tun? -Welches Personal tritt im Text auf/ liegt uns überhaupt dramatischer Rollen-Text vor? -Was ist die Ausgangssituation? -Wer spricht, und wer wird von der sprechenden Person adressiert? -Wie ist die Sprache zu charakterisieren, die eine Figur bzw. die Sprecherin*/der Sprecher* verwendet? Und schließlich: -Mit welchen Strategien können wir uns einem Theatertext nähern, bevor wir mit der eigentlichen Übersetzungsarbeit beginnen. Zur Orientierung:
Martin von Koppenfels: „Heftige Farcen und tragische Gedichte. Zum Theater García Lorcas.“ In: Lorca. Die Stücke. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 2007, S. 551-566.
Christian Grünnagel / Natascha Ueckmann / Gisela Febel (Hgg.): García Lorcas Drama „Bodas de sangre“ und die Literaturtheorie. 17 Modellanalysen. Stuttgart, Reclam 2017.
Raquel Vidales / Daniele Grasso: „Hombre, muerto y clásico: el perfil del dramaturgo más estrenado en España“. In: El País, 07.02.2019 https://elpais.com/cultura/2019/02/06/actualidad/1549474854_609789.html Hans-Thies Lehmann: 15 Jahre „Postdramatisches Theater“. Die postdramatische Chance der Autoren. April 2014 https://heidelberger-stueckemarkt.nachtkritik.de/2014/index.php/debatte/hans-thies-lehman
Radegundis Stolze: Übersetzungstheorien. Eine Einführung. 7. überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen, Narr 2018.
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