Kommentar |
Vor genau 70 Jahren, im September 1952 wurden im luxemburgischen Wassenaar zwei Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem jungen Staat Israel einerseits sowie der Claims Conference, einem Zusammenschluss von 23 internationalen jüdischen Organisationen, anderseits unterzeichnet. In diesen Abkommen, die in Deutschland unter dem Begriff der „Wiedergutmachung“ popularisiert wurden, verpflichtete sich die Bundesrepublik zu finanziellen Entschädigungen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Im Seminar wollen wir diese Abkommen in einem breiten historischen Rahmen untersuchen. Wie kam es dazu, dass nur wenige Jahre nach dem Ende des Holocaust und vor dem Hintergrund des aufkommenden Kalten Krieges Verhandlungen und schließlich ein Abkommen zwischen dem Staat der deutschen Täter:innen und Vertreter:innen der jüdischen Opfer möglich war? Welche juristischen Hürden galt es zu überwinden, wo doch die jüdischen Opfer keine Rechtssubjekte im Sinne des Völkerrechts waren? Wie sollte es möglich sein, so etwas wie den Holocaust „wiedergutzumachne“? Welche Widerstände gab es in Israel, wo jegliche Kontakte mit Deutschland, dem Staat der Mörder:innen, nationale Entrüstungstürme auslösten? Und welche Widerstände gab es in Deutschland, wo das Interesse an Israel gering, Antisemitismus weit verbreitet und viele einst hochdekorierte Nationalsozialist:innen noch immer in Amt und Würden waren? All diese Fragen werden im Seminar erörtert, um eines der wohl erstaunlichsten Abkommen der deutschen und internationalen Gewalt- und Genozidgeschichte kennenzulernen und zu verstehen.
Einschreibezeitraum für Studierende ab dem 2. Semester: 01.08.2022, 12:00 Uhr bis 26.08.2022, 16:00 Uhr Loszeitpunkt: 26.08.2022, 16:10 Uhr |
Literatur |
Nicholas Balabkins, West German Reparations to Israel, New Brunswick 1971; Dan Diner: Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage, München: Deutsche Verlagsanstalt, 2015; Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen: Wallstein, 2005; Nana Sagi: German Reparations: A History of the Negotiations, Palgrave Macmillan, 1986; Angelika Timm: Jewish claims against East Germany. Moral Obligations and Pragmatic Policy, Budapest: Central European University Press, 1997; Ronald W. Zweig: German Reparations And The Jewish World. A History Of The Claims Conference, Boulder: Westview Press, 1987; Tom Segev: Die siebte Million: Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Hamburg: Rowohlt 1995. |